Astrologie ist nicht beweisbar
Die Dimension der Arbeit Gaugelins und anderen Astrologen, die versucht haben, die Astrologie auf Grund von Fakten zu beweisen, hat mich immer etwas ehrfürchtig erschauern lassen. Der Aufwand, über Jahre und Jahrzehnte Daten zu sammeln und auszuwerten, stelle ich mir riesig und mühsam vor, und ich ehre alle, die damit helfen, der Astrologie einen anerkannten Platz unter den Künsten dieser Welt zu schaffen.
Die drei Artikel zum Thema „Astrologie als nützliche Fiktion“ hinterlassen nun aber einen äusserst schalen Nachgeschmack. Es stellt sich die Frage, wieso denn nun die Astrologie so vehement in ein wissenschaftliches Konzept gesteckt werden muss, ein Konzept notabene, das nicht auf Fakten, sondern auf intellektueller Akrobatik fusst? Wer fordert eigentlich Beweise, und wer braucht denn hier von wem Akzeptanz?
Ich anerkenne die Bemühungen meiner Kolleginnen und Kollegen, tiefer zu steigen, das Gebäude der Astrologie immer wieder neu zu erforschen und zu beschreiben und andere an ihren Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Auch ich bin im Laufe meiner Beratungstätigkeit tiefer gestiegen und habe heute eine leise Idee, auf welchen Fundamenten diese ausserordentliche Kunst steht. Mein Umgang mit der Astrologie und dem Faktum der Nichtbeweisbarkeit unterscheidet sich aber fundamental von demjenigen von Ulrike Voltmer, Richard Vetter und Christopher A. Weidner, und ich möchte, obwohl ich mich nicht dazu berufen fühle, andere schriftlich zu belehren, die Gelegenheit erfassen, hier einen ganz anderen Blickwinkel zu formulieren.
Wir leben in einem Zeitalter, in der sich eigenartige und etwas beängstigende kollektive Strömungen manifestieren. Da finden sich streng materialistische Wissenschaftler, die öffentlich und allen Ernstes den Menschen auf die Summe seiner Gene und das Göttliche auf ein individuelles, mess- und reproduzierbares Ereignis im Gehirn reduzieren möchten. Der Tod des alten und die Wahl eines neuen Papstes, des „Stellvertreter Gottes“ (!), animiert Millionen zum Trauern und Jubeln und wird zum medialen Happening. Und alle finden das ganz normal. Spirituelle Dimensionen werden seit langer Zeit Hardcore-Esoterikern überlassen und manifestieren sich heute fast nur noch im Yogi-Shop, im Engelwesen-Seminar oder an einer Esoterikmesse. Alles kann man haben, besitzen, ergreifen, teilen, berechnen. Das Sein hat vor dem Haben kapituliert und ist still und leise aus der Welt verschwunden; es hinterlässt uns Menschen rast- und ratlos, denn uns fehlt diese Dimension, auch wenn wir uns nicht mehr daran erinnern können. Astrologisch wird diese Entwicklung angezeigt durch die Rezeption von Neptun in Wassermann und Uranus in den Fischen, die beide im Reiche des andern wirken und grosse Verwirrung schaffen. Es scheint, das wir uns als Menschheit nicht mehr im Klaren sind, was zur materiellen und was zur geistigen Welt gehört und wie wir die beiden Dimensionen in uns verbinden können.
Die selbe Verwirrung ist leider auch feststellbar im Konzept der „Astrologie als nützliche Fiktion“. Dieses intelektuelle Modell versucht eigentlich nichts anderes, als die Astrologie aus dem Spannungsfeld zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren herauszulösen. Sie soll nun ein Korsett erhalten, damit sie ganz in dieser Welt bestehen und nie mehr durch Skeptiker und Wissenschafter angegriffen werden kann. Das ist vielleicht gut gemeint, doch ist es hilfreich für die Astrologie? Ist nicht gerade die Fragilität die grosse Kraft dieser Erfahrungswissenschaft? Könnte es sein, dass die Astrologie gerade deshalb funktioniert, als das sie eben nicht nur in der materiellen Welt zuhause ist, sondern immer etwas von einer anderen Sphäre mitbringt? Dass sie mit einem Bein im Dazwischen steht, ins Unbekannte horcht und ihren Ursprung genau dort hat, wo die Schöpfung jeden Augenblick aufs neue stattfindet?
Natürlich: Wenn ich keine Idee, nicht einmal mehr eine Ahnung davon habe, was denn eigentlich mit diesem „Oben“ im zweiten hermetischen Gesetz (oft reduziert zitiert als „Wie oben, so unten“) gemeint ist, dann wird es schwierig für einen Astrologen. Das zweite hermetische Gesetz lautet vollständig: „Das was unten ist ist wie das, was oben ist, und das was oben ist, ist wie das was unten ist, ein ewig dauerndes Wunder des Einen.“ (Tabula Smaragdina, Hermes Trismegistos). In allen mir bekannten mystischen und esoterischen Traditionen, die die Jahrhunderte überdauert haben, wurde das „Oben“ nie als etwas in der Sichtbarkeit verstanden. Das ganze Universum in seiner materiellen Manifestation ist in seiner Manifestation „Unten“, bis hin zum kleinsten Partikel der Materie. Dazu gehören auch die unsichtbaren Energien der Körper, wie man diese immer auch nennen mag. Die Himmelskörper stehen in der Sichtbarkeit, sind dadurch „Unten“ und haben ihren Ursprung, ihren Urgrund im „Oben“.
Es stellt sich nun die Frage, was denn dieses „Oben“ ist. Antworten lassen sich von Suchenden finden, in allen mystischen Schriften und Überlieferungen aller Kulturen, auch in unserer abendländischen, in der ihnen gemässen Form. Dieses „Oben“ wird z.B. Logos genannt. Oder in anderen Worten:“ Der SINN, der sich aussprechen läßt, ist nicht der ewige SINN. Der Name, der sich nennen läßt, ist nicht der ewige Name.“ (Lao Tse, Tao Te King).
Weiter müsste hier auch gefragt werden, wie sich nun dieses „Oben“ verhält, wenn es im „Unten“ nicht mehr wahrgenommen wird, da es doch auch heisst, „Wie unten, so oben“? Wer könnte ein Interesse daran haben, dass die Astrologen sich abwenden von diesem „Oben“, das nicht von dieser Welt ist? Wer hält es nicht aus, dass es etwas gibt, das für immer verborgen bleibt?
Die Astrologie wird nie beweisbar sein. Der Versuch dazu ist gleichbedeutend mit dem Versuch, mit irdischen Mitteln das „Himmelreich“ zu ergreifen, Gott oder die Gottheit zu berechnen und in Besitz zu nehmen. Der Stachel des Todes steckt bereits in diesem Unterfangen und wird – im besten Fall – diejenigen, die diesen Weg gehen, weit weg führen von einer unermesslich reichen Quelle. Vergessen wir Astrologen und Astrologinnen aber alle zusammen diese Dimension des Verborgenen, werden wir bald mit einem toten Instrument hantieren, das vielleicht für eine gewisse Zeit noch ein paar Klänge erzeugt, dann aber seine Kraft verliert und von uns gelangweilt weggelegt und vergessen wird. Das wäre äusserst schade, denn nebst dem individuellen und strengen Weg des Mystikers, der versucht, mit sich selbst so Nahe wie nur möglich an das „Oben“ zu gelangen, ist die Astrologie vermutlich das einzige Werkzeug, welches die Schwingungen, die aus der Berührung von Unten und Oben entstehen, auch für „normale“ Menschen erlebbar machen kann.
Die „königliche Kunst“ wurde auf ihrem Weg durch die Jahrtausende von Generationen von Astrologen gehütet, kultiviert und in Ehren gehalten, auch in Zeiten, wo sie von Kräften der Welt bedroht, instrumentalisiert, ausgegrenzt und verlacht wurde. Sie ist eine feste Grösse in unserer Kultur, hatte einen Platz in Völkern ganz unterschiedlichsten Geisteshaltungen, ihre Wurzeln reichen tiefer, als wir uns vorstellen können. Sie braucht keine Beweise für ihre Existenz, sondern Anerkennung. Es wäre die Aufgabe der astrologischen Gemeinschaft, ihr diese zu geben und gegenüber Skeptikern, materialistisch verhärteten Wissenschaftern oder religiös verbrämten Menschen zur ganzen Dimension der Astrologie zu stehen.
Dieser Text entstand als eine Replik auf eine Artikelserie in der Zeitschrift „Meridian“, Ausgabe Mai/Juni 2005, die unter dem Haupttitel „Astrologie als nützliche Fiktion“ standen. Ulrike Voltmer, Richard Vetter und Christopher A. Weidner entwerfen dort ein intellektuelles Konzept, das der Astrologie helfen soll, sich im Feld der Wissenschaften besser zu positionieren. Das Heft kann beim Meridian-Verlag (http://www.meridian-magazin.de/) bezogen werden.