Tanz auf der Schwelle

12. Dezember 2019
Juri Viktor Stork

Bist du schon einmal in einem Workshop, einer Zeremonie oder in einem therapeutischen Setting vor einer dieser mächtigen inneren Schwelle gestanden, im Wissen, dass deren Überschreiten unausweichlich ist, dies aber gleichzeitig bedeutet, sich auf etwas völlig Neues einzulassen, ohne die Möglichkeit einer Rückkehr in das Alte? Hast du den Schritt getan oder dich dazu entschieden, lieber im alten Leben zu bleiben?

Das, was uns astrologisch im 2020 erwartet, hat gewisse Ähnlichkeiten mit einer solchen Erfahrung. Das Jahr hat die Qualität eines kollektiven „Schwellenganges“. Ein solch kollektiver Prozess ist vergleichbar mit dem Muster einer individuellen Geburtserfahrung, nur geschieht alles viel langsamer. Wir werden zwar mit herausfordernden Entwicklungen konfrontiert, doch auch den Beginn der Geburt von etwas Neuem erleben, das die folgenden Jahrzehnte prägen wird. Wie bei jeder Geburt gibt es ab einem bestimmten Zeitpunkt kein Zurück mehr, und das kann auch Gefühle von Ohnmacht und Angst auslösen. Entsprechend heftig könnten da und dort die Reaktionen ausfallen.

Ich versuche im Folgenden, die Thematik dieser Zeit ein wenig zu erhellen. Mein Fokus liegt dabei auf den Entwicklungen im grösseren, kollektiven Feld. Es ist eine Zeit der Zäsur und Umwandlung, und auf die eine oder andere Weise werden wir alle davon betroffen sein, auch wenn die Auswirkungen dieses gesellschaftliche Entwicklungen nie überall und zur gleichen Zeit sicht- und spürbar sind.

Astrologische Eckpunkte

Astrologischer Startpunkt dieser Wendezeit ist die Konjunktion der Planeten Saturn und Pluto im Steinbock am 12./13. Januar 2020. Es folgen drei Konjunktionen von Jupiter und Pluto in Steinbock (5. April, 30. Juni und 12. November). Der Abschluss macht eine Konjunktion von Jupiter und Saturn auf dem ersten Grad von Wassermann, exakt zur Sonnenwende am 21. Dezember 2020. Ein Jahr mit gleich mehreren Konjunktionen von langsam laufenden, gesellschaftlichen Planeten ist selten, und man muss weit in die Vergangenheit schauen, um eine ähnliche Konstellation zu finden. Ein grosser Zyklus geht zu Ende, und etwas Neues beginnt.

1. Phase: Die Machtfrage

Der Zyklus von Saturn und Pluto

Die bevorstehende Konjunktion von Saturn und Pluto wird von den Astrologen aufmerksam und auch ein wenig sorgenvoll betrachtet. Das Feld der beiden Schwergewichte zeigt sich schon seit einiger Zeit, sei es in Konflikten wie zum Beispiel den Unruhen in südamerikanischen Ländern, dem unberechenbaren Verhalten von Regierungen wie in der USA oder den massenhaften Unmutsbekundungen in einigen europäischen Ländern. Auch eine Orientierungslosigkeit, Müdigkeit und latetente Depression vieler Menschen gehört dazu. 

Saturns Aufgabe ist es, Sicherheit durch Struktur und Materialisierung zu schaffen. Er ist Symbol jener Kraft, die Ordnung schafft und Grenzen setzt. Pluto, als Herrscher der Unterwelt, ist diejenige Instanz, die dafür sorgt, dass nichts ewig bleibt. Er holt das, was nicht mehr lebensfähig ist in sein Totenreich. Er ist die Kraft der endgültigen Transformation. Beide Planeten, Saturn wie Pluto, werden meist als strenge und herausfordernde Kräfte erlebt, denen man nicht mit Tricks oder mit «So-tun-als-ob» entkommen kann. Sie fordern dezidiert dazu auf, notwendige Korrekturen und Transformationen vorzunehmen. Werden diese verweigert, so wird der Druck erhöht, bis die Aufgabe gelöst und eine neue, realistischere Haltung gefunden wird.

Alle 32 bis 38 Jahre befinden sich diese beiden Planeten in Konjunktion, das heisst, beide stehen im Tierkreis am selben Ort. Das letzte Mal geschah dies im Jahr 1982 im Zeichen der Waage. Das Tierkreiszeichen, in dem die Konjunktion stattfindet, prägt die Qualität des ganzen folgenden Zyklus. Die Waage, deren Herrscherin Venus ist, gilt als das Zeichen der Harmonie, der Schönheit und der Beziehungen. Erinnern Sie sich noch an die grossen Friedensdemonstrationen zu Beginn dieses Zyklus, mit zum Beispiel 500’000 Menschen in Bonn? An den Fall der Mauer ein paar Jahre später, mit der plötzlich das Beziehungsgeflecht der ganzen Welt neu gezogen werden konnte? Während diesem venusischen Zyklus wurde auch «Party» zum Inbegriff eines Lebensgefühls für grosse Teile der Gesellschaft. Das Internet wurde erschaffen, welches zum ersten Mal weltumspannende Kommunikation ermöglichte. Doch wurde in dieser Zeit auch Konsum zum globalen Massstab erkoren, ohne Rücksicht auf Ressourcen. 

Saturn und Pluto in Steinbock

Die kommende Konjunktion vom 12. Januar 2020 ist Abschluss dieses venusischen Zyklus und Beginn eines Neuen. Nach ein paar eher lustorientierten, venus-dominierten Jahrzehnten übernimmt nun der gestrenge Saturn das Zepter. Er bringt uns in Kontakt mit Themen wie Disziplin, Pflicht und Verantwortung.

Im Tierkreiszeichen Steinbock geht es um Stabilität und Sicherheit. Hier will und muss Verantwortung übernommen werden. Im Steinbock ist auch die grösste Konzentration an weltlicher Macht zu finden, denn da geht es nicht nur um persönliche Leistungsfähigikeit, sondern auch um Eigentum und Geld und um alles, was der Sicherung der Errungenschaften dient, wie staatliche Strukturen und Grenzen, Banken oder Verbindlichkeiten im grossen Stil.

Im Volksmund gilt der Steinbock als geizig. Dahinter verbirgt sich jedoch ein tiefes Wissen um die Begrenztheit der Ressourcen. Er beharrt auf dem nachhaltigen Umgang mit der Schöpfung, zu ihrem Wohl und Fortbestand.

Saturn und Pluto standen im Steinbock das letzte Mal im Jahr 1517 in Konjunktion. Es war der Beginn der Reformation, während der die jahrhundertelange weltliche Macht der römischen Kirche in Frage gestellt und letztendlich beschränkt wurde. Es war eine Erschütterung im gesellschaftlichen Gefüge, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Die Frage, die heute nun gestellt wird, ist die selbe wie damals: Wer hat die Macht, und auf welcher Grundlage basiert diese? Ist der Machtanspruch noch begründet? Wer macht die Regeln der Gesellschaft, und wer setzt diese durch?

Pluto wiederum ist unbestechlich. Sein Interesse ist es, Totes zu identifizieren und in sein Reich zu holen. Verbinden sich nun Pluto und Saturn, so werden alle Machtstrukturen aufs Äusserste herausgefordert. Jede Mauer wird auf ihre Tragfähigkeit abgeklopft. Manches, das äusserlich stabil und sicher erschien, wird sich nun als marod und baufällig entpuppen. Manches, das bisher als sicherer Wert galt, wird plötzlich in Frage gestellt. Die Frage Plutos ist immer die selbe: «Bist du schon tot?« Kommt keine überzeugende Antwort aus dem lebendigen Kern, so vollzieht er sein Werk. 

Es ist eine durchaus brisante Dynamik, denn es sind ja nicht abstrakte Planetengötter, die hier wirken, sondern wir Menschen, mit all unseren Absichten, Meinungen, Ängsten und Wünschen. Die Kräfte von Saturn und Pluto wirken in uns allen, wir alle wollen letztendlich Sicherheit, und wir sind auch meist bereit, das zu verteidigen, was wir als unseren Besitz betrachten, sei er materieller oder ideeler Natur. Doch wissen wir auch, dass wir nicht für immer in einer Welt leben können, die zunehmend von toter Materie oder toten Überzeugungen dominiert wird. «Bist du schon tot?» wird zu einer berechtigten gesellschaftlichen Frage, und wir spüren deutlicher denn je, dass wir uns entscheiden müssen, ob wir leben wollen oder sterben. Das Kernthema dieser Konstellation ist das Loslassen von dem, was nicht mehr lebensfähig ist und die Bereitschaft, neue, tragfähigere Strukturen zu errichten, im Grossen wie im Kleinen. 

Die Auswirkungen

Die Astrologie kann nur Möglichkeitsfelder benennen. Wie sich diese konkret auswirken, steht eben meist nicht in den Sternen. Im mundanen, gesellschaftlichen Bereich sind jedoch Verwerfungen und starke Korrekturen in Bereichen zu erwarten, welche die Basis unseres Zusammenlebens bilden: Finanzsysteme, Börsen, Staatsgrenzen, Regierungssysteme. Die Unordnung in diesen Bereichen ist in den meisten Ländern dieser Welt offensichtlich. Korruption, Schulden und Ausbeutung des Lebendigen ist heute so normal wie schamlos lügenden Politiker, denen die Staaten, die sie doch führen sollten, völlig gleichgültig sind. Wo die Unordnung zu gross ist, könnten nun gesellschaftlich relevante Strukturen zusammenbrechen. Das dadurch entstehende Machtvakuum kann zu tiefgreifenden Machtverschiebungen führen.

Diese Phase der Instabilität wird wohl kaum ein Spaziergang sein. Sie gleicht eher einer Wanderung im Hochgebirge, bei der es auf jeden Schritt ankommt. Irrationales oder gar panisches Handeln ist dann sehr gefährlich. Doch birgt die Zeitqualität nicht nur Risiken, sondern auch echte Chancen. Denn es steht nicht nur die Frage im Raum, ob wir leben wollen, sondern auch wie wir leben wollen. Dadurch, dass viele tragende Strukturen nicht mehr tragfähig sind, gibt es nun Möglichkeiten, um Platz zu schaffen für das Neue, welches sich aber erst später im Jahr deutlicher zeigen wird. 

Die Konjunktion von Saturn und Pluto kann so als die erste Phase einer Geburt des Neuen betrachtet werden. Sie bringt uns in einen Zustand, der uns zwingt, Schritte vorwärts zu tun, ohne dass wir wüssten, wohin die Reise geht. 

2. Phase: Neue Wege versuchen

Ruine

Jupiter und Pluto

Nach dem herausfordernden Start im Januar folgen während dem Jahr drei Konjunktionen von Jupiter und Pluto. Jupiter ist Symbol derjenige Kraft, die möchte, dass sich die Dinge fruchtbar entwickeln und das Leben geheiligt wird. Mit Jupiter kommt auch die Frage nach dem Sinn, nach dem übergeordneten Grösseren und dem, was uns alle verbindet.

Die Konjunktion von Pluto und Jupiter geschieht alle 12 Jahre, das letzte Mal im Dezember 2007. Alle Kontakte, bei denen Jupiter beteiligt ist, gelten grundsätzlich als positiv, mit der einzigen Gefahr einer Übertreibung und Masslosigkeit. Angesichts der konfliktreichen Konjunktion von Saturn und Pluto sind die Auswirkungen der dreimalige Konjunktion (am 5. April, 30. Juni und 12. November) schwer zu benennen. Es wird nun aber überdeutlich, dass wir uns selbst aktiv um die schwierigen Probleme kümmern müssen, und es wird auch der Wille dazu vorhanden sein. Neue Ideen zur Bewältigung der Krise tauchen auf, und grosse Anstrengungen werden unternommen, um wieder handlungsfähig zu werden. Vielleicht werden auch mit einem Mal Reformen möglich, die noch vor kurzem undenkbar waren.

Die Gefahr in dieser Zeit geht von Demagogen aus, die – wie immer in Krisenzeiten – allerorten auftauchen und versprechen, die Probleme schnell zu lösen, wenn man ihnen nur freie Hand gibt. Da es sich aber um eine Zeit der tiefgreifenden Wandlung handelt, werden solche Versuche, eine Pseudostabilität zu errichten, die Krise eher zur Normalität werden lassen, unter Umständen sogar auf lange Zeit. 

Diese zweite Phase ist die eines Vorwärtsschreitens. Es wird klar, dass wir uns einlassen müssen auf die Bewegung, und dass wir das auch können. Es ist uns allen zu wünschen, dass wir den Mut finden, dieser Instabilität nicht auszuweichen. Erst gegen Ende 2020 wird sichtbar, wo die Entwicklung tatsächlich hingehen könnte. 

3. Phase: Neuausrichtung

Jupiter – Saturn: Die grosse Konjunktion

Zur Wintersonnwende am 21. Dezember 2020 verändert sich die Zeitqualität noch einmal deutlich. Zeitgleich mit dem jährlichen Eintritt der Sonne in den Steinbock stehen der gestrenge Saturn und der grosszügige Jupiter in Konjunktion. Schon im Altertum wurde diese alle zwanzig Jahre stattfindende Konstellation als «Grosse Konjunktion» bezeichnet. War sie früher ein Hinweis auf einen Wechsel auf einem Thron, weist sie in unserer Zeit auf eine Erneuerung der weltanschaulichen Normen hin, sei es durch die Bestätigung von Bewährtem oder auch durch das Aufkeimen von neuen Regeln und Systemen, die das Zusammenleben bestimmen. 

Wenn Saturn und Jupiter sich treffen, werden Sinn und Struktur in ein neues Gleichgewicht gebracht. Einfach ist das nie, und oft ist es eine Zeit heftiger Diskussionen zwischen verschiedenen Gesellschaftsformen. Auf der einen Seite müssen Regeln und Normen dem Ganzen dienen und im Dienste des Lebens stehen, andererseits müssen sich auch die grossen Visionen dem Gesetz der Notwendigkeit unterwerfen. Diese Diskussion ist zwar unbequem, aber sie ist notwendig. Es findet ein Kräftemessen statt, dessen Ausgang den nächsten zwanzigjährigen Zyklus prägt. 

Doch dieses Mal ist die grosse Konjunktion nicht nur End- und Startpunkt eines geschichtlich gesehen kleinen Zyklus, sondern auch eines grösseren, 200-jährigen. Die Konjunktion zur Wintersonnenwende 2020 findet auf dem ersten Grad Wassermann statt. Damit beginnt ein neuer, rund 200-jähriger Zyklus, der nicht mehr wie vorher vom Element Erde geprägt ist, sondern vom Element Luft. Da die grossen Konjunktionen das Grundklima des gesellschaftlichen Lebens prägen, ist ein solcher Phasenwechsel durchaus relevant. 

Die materialistische Grundhaltung der letzten zwei Jahrhunderte ändert sich nun mehr zu einer idealistischen und kommunikativen Einstellung. Erwarten Sie aber nicht, dass sich die Dinge umgehend verändern. Es sind dies sehr langsame kollektive Prozesse, deren Folgen sich erst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zeigen. 

Die Konjunktion von Saturn und Jupiter am 21. Dezember 2020 ist eine bedeutende und wichtige Konstellation. Nach einem chaotischen Jahr scheint es die Zeitqualität nun zu ermöglichen, reale Schritte in etwas Neues zu tun. Aus dem vorhergehenden Chaos werden sich in den folgenden Monaten neue Allianzen bilden. Es werden wohl einige der alten Player in dieser Runde fehlen. Vielleicht werden aber neue Kräfte konstruktiv mithelfen, und es ist anzunehmen, dass nun auch ein paar grundsätzlich neue Ideen über das Zusammenleben auf diesem Planeten ernsthaft geprüft werden. 

Geistige Erneuerung

Die grosse Konjunktion dieser Zeit hat auch noch eine weitere Dimension. Zur Wintersonnwende, wenn die Sonne am tiefsten steht und die Nacht am längsten ist, feiern wir die Wiedergeburt des Lichts. Nicht nur im christlichen Kontext tritt im Kalender diese «Geburt des Erlösers» auf. Auch andere und deutlich ältere Kulturen kennen dieses Ereignis in verschiedensten Facetten. Es handelt sich um einen energetisch wichtigen Moment im Jahreskreis. Zu diesem Zeitpunkt wird symbolisch die «Frucht» geehrt und geheiligt, die dann spätert Nahrung für den kollektiven menschlichen Geist sein wird. Da die Jupiter-Saturn Konjunktion nun genau zur Wintersonnenwende stattfindet, könnte dies durchaus der Beginn einer geistigen Erneuerung sein. Die Konjunktion findet auf dem allerersten Grad Wassermann statt. Dies ist ein bedeutender Punkt im Tierkreis, direkt gegenüber der Schöpfungskräfte der weiblichen und männlichen Urenergie. Nach einer Phase von grosser geistiger Dunkelheit könnte tatsächlich ein neues Licht in der Welt empfangen werden. 

Diese dritte Phase wird nicht der Endpunkt der Entwicklung sein. Doch wird sich danach das kollektive Selbstverständnis deutlich verändert haben. Es ist ein neuer Wind, der nun weht und der es uns – hoffentlich – ermöglicht, mit einem klareren Ziel vorwärts zu gehen und die Welt zu gestalten.

Dieser Text wurde erstmals im Dezember 2019 auf der Webseite des Magazins „Spuren“ publiziert.